Innovative Konzepte für die NeuroMobilitäts-Versorgung: Wie Patienten davon profitieren
Freitag, 15. Dezember 2023
Für Menschen mit neurologischen Erkrankungen stehen immer mehr Hilfsmittel zur Verfügung. Einige dieser innovativen Technologien liefern bereits überzeugende Nachweise für ihren Nutzen, sowohl einzeln als auch in Kombination. Im neuesten virtuellen Webinar von Ottobock stellten drei Experten aktuelle Erkenntnisse für zwei vielversprechende klinische Anwendungen vor: die frühe Rehabilitation von Menschen mit Rückenmarksverletzungen mithilfe der mikroprozessor-gesteuerten Beinorthese C-Brace® und die Behandlung von spastischen Bewegungsstörungen mit dem Exopulse Mollii Suit.
Moderiert wurde das virtuelle Symposium von Prof. Dr. med. Dipl. oec. Bernhard Greitemann, Ärztlicher Direktor und leitender orthopädischer Chirurg an der Reha-Klinik Münsterland in Bad Rothenfelde. Als Experten nahmen teil: Dr. Andreas Hahn, Vice President Clinical Research and Services bei Ottobock, Dr. Arun Jayaraman, Physiotherapeut sowie Professor und Executive Director am Max Näder Center for Rehabilitation Technologies & Outcomes Research am Shirley Ryan Ability Lab in Chicago, USA, sowie Arne Schlausch, Project Manager for Clinical Research and Services bei Ottobock. Teilnehmer aus aller Welt hörten der Expertendiskussion über die Auswirkungen neuer klinischer Möglichkeiten in der NeuroMobilitäts-Versorgung zu.
Exopulse Mollii Suit: Schnelle, signifikante und nachhaltige Verbesserung von Spastiksymptomen
Dr. Hahn eröffnete die Diskussion mit den Ergebnissen einer explorativen Studie zum Exopulse Mollii Suit: ein Neurostimulationshilfsmittel für nahezu den gesamten Körper, der spastische Bewegungsstörungen und damit verbundene Schmerzen in nur einer Stunde Tragezeit reduzieren soll. Neue klinische Nachweise zeigen nun, dass dieser Ansatz zu einer raschen, signifikanten und nachhaltigen Verbesserung der Mobilität und des Schmerzgrades der Patienten führen kann.[1]
Im Rahmen der jüngsten Studie zum Exopulse Mollii Suit wurden insgesamt 44 Patientinnen und Patienten mit mehreren Grunderkrankungen untersucht, darunter Zerebralparese (ZP, n=16, 7 Kinder), Multiple Sklerose (MS, n=16) und Schlaganfall (n=12). Alle Teilnehmer wiesen ein erhöhtes Sturzrisiko auf, gemessen anhand der Berg-Balance-Skala (BBS-Score < 45). Die Teilnehmer wurden zu drei Zeitpunkten beurteilt: bei Baseline (T0), nach einer 60-minütigen Stimulation (T1) und nach vierwöchiger Anwendung zu Hause (T2).
Die Ergebnisse zeigten Folgendes:
Signifikante Funktionsverbesserung und reduziertes Sturzrisiko in allen drei Kohorten nach einer Stunde Stimulation (erhöhter BBS-Score T0→T1).
Nachhaltige Verbesserung bei regelmäßiger Anwendung, wobei alle drei Kohorten eine verbesserte Mobilität und ein verringertes Sturzrisiko nach vier Wochen Stimulation alle zwei Tage aufwiesen (erhöhter BBS-Score T1→T2).
Signifikante Verringerung der Spastikschmerzen nach einer Stunde Stimulation (Verringerung der 5D5L EQ-Schmerz-Scores). Diese Verbesserung wurde auch durch regelmäßige Stimulation aufrechterhalten.
Die Studie lieferte darüber hinaus Nachweise für die Auswirkungen des Exopulse Mollii Suits auf Kohortenebene:
ZP-, MS- und Schlaganfall-Patienten zeigten alle eine signifikante und anhaltende Schmerzreduktion bei T0, T1 und T2.
ZP-Patienten zeigten eine signifikante Verbesserung im Hinblick auf das Gleichgewicht und die funktionellen Gangparameter.
MS-Patienten zeigten eine signifikante Verbesserung in den Bereichen Gleichgewicht, Mobilität und Lebensqualität.
Schlaganfall-Patienten profitieren in hohem Maße vom Exopulse Mollii Suit in den Bereichen Gleichgewicht und Lebensqualität.
Wie Dr. Hahn feststellte, liefern diese Ergebnisse ermutigende Nachweise für die Auswirkungen des Exopulse Mollii Suits auf mehrere wichtige klinische Parameter, insbesondere das Sturzrisiko und Schmerzen. Da die positiven Effekten in nur 60 Minuten spürbar sind, sollte die einfache und frühzeitige Identifizierung der Responder die Probeversorgung noch attraktiver und effektiver machen.
Verbesserung des Rehabilitationspotenzials bei Patienten mit Rückenmarksverletzung
Dr. Arun Jayaraman nahm virtuell aus seiner Klinik in Chicago am Webinar teil. Er berichtete über seine Erfahrungen mit dem Vergleich neuartiger und traditioneller Ansätze zur funktionellen Rehabilitation von Patienten mit kompletter und inkompletter Rückenmarksverletzung.
Dr. Jayaraman und sein Team haben kürzlich eine Studie durchgeführt, um die Behandlungsergebnisse nach stationärer Rehabilitation mit zwei unterschiedlichen Ansätzen zu bewerten:
Traditionelle Mobilitätsversorgung bei akuter Rückenmarksverletzung mit primärer Rollstuhlnutzung in Kombination mit gesperrten Beinorthesen und anderen Standardhilfsmitteln (n=15 Patienten)
Rehabilitation mit C-Brace, einer mikroprozessorgesteuerten Orthese zur Stand- und Schwungphasenkontrolle (n=15 Patienten).
Bei Baseline sowie nach 3, 6 und 12 Monaten, wurde die physiologische und neuromuskuläre Verbesserung der Patienten anhand einer Reihe von Mobilitäts-, Gleichgewichts- und Funktionsbeurteilungen bewertet. Im Vergleich zu Patienten, die mit herkömmlichen Methoden behandelt wurden, tendierten Patienten, die C-Brace nutzten, zu einer deutlich höheren individuellen und durchschnittlichen Verbesserung in mehreren Behandlungsergebnissen:
6-Minuten-Gehtest (6MWT): Erhöhte Geh-Ausdauer
BBS: Verbessertes Gleichgewicht beim Stehen
10-Meter-Gehtest (10MWT): Höhere durchschnittliche Gehgeschwindigkeit (m/s)
Funktionelle Gangbeurteilung (FGA): Verbesserung des Gleichgewichts beim Gehen
Am Ende der Studie, so Dr. Jayaraman, konnten Patienten, die das C-Brace mit Hilfe eines erfahrenen Physiotherapeuten anwendeten, mehrere positive Ergebnisse erzielen: gut kontrollierte allgemeine und neuropathische Schmerzen, aktive Hüftkontrolle, ein verbessertes Körperbewusstsein trotz sensorischer Einschränkungen. Außerdem waren die Patienten mit C-Brace auch besser in der Lage, ihre betroffenen Beine mit verringerten kompensatorischen Bewegungen zu bewegen.
Insgesamt deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass C-Brace eine wichtige Rolle bei der Erschließung des vollen Potenzials der Rehabilitation von Patienten mit traumatischen Wirbelsäulenverletzungen spielen kann.
Kombination von Hilfsmitteln: Untersuchung der Auswirkungen eines komplementären Ansatzes
Da sowohl der Exopulse Mollii Suit als auch das C-Brace einen beeindruckenden klinischen Nutzen zeigen, erörterte Arne Schlausch eine Frage, die sich für das Team Clinical Research and Services von Ottobock selbstverständlich stellte: Werden Patienten von der Kombination dieser beiden wirksamen Technologien profitieren?
Um diese Möglichkeit zu verdeutlichen, präsentierte Arne Schlausch die Fallstudie einer Patientin, die sowohl das C-Brace als auch den Exopulse Mollii Suit zur Behandlung von Symptomen im Zusammenhang mit einer inkompletten Rückenmarksverletzung einsetzt. Die Patientin, Sina, hatte mehrere deutliche Verbesserungen nach wichtigen Umstellungen in ihrer Behandlung gezeigt:
Rollstuhl + standphasenkontrollierte Orthese → C-Brace: Mit herkömmlichen Mobilitätshilfen hat Sina > 12 Stürze/Woche. Nach dem Wechsel zu einem C-Brace hat sie einen natürlichen, nahezu physiologischen Gang wiedererlangt.
Pharmakologische Schmerzkontrolle → Exopulse Mollii Suit: Nach ihrer Verletzung verließ sich Sina auf eine Kombination von Medikamenten zur Behandlung von Schmerzen und Spastik. Seit sie die regelmäßige Stimulation mit dem Exopulse Mollii Suit begonnen hat, war sie in der Lage, ihre medikamentöse Behandlung vollständig abzusetzen.
Während Sinas Erfahrungen einzigartig sind, werden ihre Behandlungsergebnisse durch die klinische Bewertung der Ergebnisse gestützt. In einer Längsschnittbeurteilung ihrer Behandlungsergebnisse über einen Zeitraum von vier Jahren erzielte sie mehrere signifikante Verbesserungen im Zusammenhang mit der Anwendung des C-Brace, darunter:
Erhöhter BBS-Score/verringertes Sturzrisiko
Verringerung der Stürze um 98 %
Erhebliche Verbesserung der Lebensqualität
Wie Arne Schlausch bemerkte, könnten Erfahrungen wie die von Sina darauf hindeuten, dass diese beiden Hilfsmittel einen starken synergetischen Effekt haben: C-Brace kann einen positiven Effekt auf das Gleichgewicht, die Sicherheitswahrnehmung und die Lebensqualität haben, während der Exopulse Mollii Suit einen komplementären, multidimensionalen Effekt auf das Gleichgewicht und andere klinische Ergebnisse wie Gehgeschwindigkeit, Blasenkontrolle und Medikamenteneinsatz hat. Die Kombination dieser beiden innovativen Technologien könnte für Patienten mit ähnlichen physiologischen und neuromuskulären Problemen wie im Falle von Sina ein wertvoller Ansatz sein.
Ausblick: Neue Innovationen bieten lebensverändernde Chancen
Zum Abschluss des Symposiums stellte Dr. Greitemann fest, dass jeder dieser drei Datensätze ein überzeugendes Argument für den Einsatz von Technologien wie C-Brace und Exopulse Mollii Suit liefert. Jetzt sei es an der Zeit, dass sich Ärzte intensiv damit beschäftigen, Patienten zu identifizieren, die am ehesten von einem oder beiden Hilfsmittel profitieren können. Mit einer Kombination aus überzeugenden Nachweisen und klaren Auswahlkriterien könnten diese neuen Technologien erhebliche Verbesserungen in Bezug auf Mobilität und Lebensqualität zu leisten.
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Quelle:
[1] Hahn A, Moeller S, Schlausch A, Ekmann M, de Chelle G, Westerlund M, et al. “Effects of a full-body electrostimulation garment application in a cohort of subjects with cerebral palsy, multiple sclerosis and stroke on upper motor neuron syndrome symptoms”, 2023, Biomedical Engineering, doi: 10.1515/bmt-2023-0271