„Wir haben uns gegenseitig Halt gegeben.“
Ottobock Mitarbeiter Ömer Deveci war während des Erdbebens bei seiner Familie in der Türkei
Montag, 13. März 2023
Ömer Deveci, Senior Technical Implementation Manager bei Ottobock, hat im Februar Urlaub bei seiner Familie in der türkischen Metropole Adana gemacht. Ganz in der Nähe des Epizentrums hat er die schweren Erdbeben am 6. Februar miterlebt. Heute unterstützt er mit seinem Know-how die Hilfsaktionen der Ottobock Global Foundation. Im Interview teilt er seine Erfahrungen mit uns:
Wie haben Sie das Erdbeben erlebt?
In den frühen Morgenstunden wurden wir von den schwankenden Deckenleuchten geweckt. Aus allen Himmelsrichtungen hörten wir Schreie. Meine Familie lebt in der sechsten Etage eines Hochhauses und wir dachten, dass es jeden Moment einstürzen würde. Als das Beben nach knapp 30 Sekunden vorüber war, haben wir sofort unsere Jacken angezogen, unsere Wertsachen eingepackt und das Haus verlassen.
Welche Gedanken gingen Ihnen durch den Kopf?
Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Nachdem ich 1999 bereits ein schweres Erdbeben miterlebt hatte, dachte ich, dass ich auf solche Situationen vorbereitet sei. Aber in dem Moment war alles weg. Mir gingen so viele Gedanken gleichzeitig durch den Kopf: Auf der einen Seite hatte ich Todesängste und auf der anderen Seite war ich unglaublich glücklich, dass ich genau jetzt bei meiner Familie war. Wir haben uns gegenseitig Halt gegeben.
Wo haben Sie Zuflucht gefunden?
Als wir auf die Straße kamen, haben wir eine hilflose Frau mit einem Baby getroffen. Gemeinsam mit ihnen sind wir ins Auto gestiegen und versuchten darin zu schlafen. Dort waren wir erst einmal sicher, bis wir nachmittags in unsere Wohnung gingen, um unsere restlichen Wertsachen zu holen.
Und dann kam das zweite Beben…
Genau. Zunächst haben wir an Nachbeben gedacht. Wie in der Nacht zuvor, fingen die Wände an zu wackeln und alles fiel herunter. Meine Schwester mit ihren dreijährigen Zwillingen geriet in Panik, mein Vater ist zusammengebrochen. Ich dachte zunächst an einen Herzinfarkt, was sich aber glücklicherweise nicht bestätigt hat. Das Beben war zwar etwas kürzer, aber genauso heftig wie das erste. Wir haben anschließend wieder alle wichtigen Dinge zusammengepackt und sind zur Firma meines Vaters gefahren, die von Olivenhainen umgeben ist. Dort waren wir in Sicherheit.
Wie war die Situation danach?
Es war ein grauenhaftes Bild, das mich emotional geprägt hat: Ich habe so viele Kinder gesehen, die in den Trümmern um ihre Eltern geweint haben. Während des Bebens haben sie ihre Kinder schützend umarmt und sind dabei verstorben. Mit großen Baumaschinen haben unzählige Helferinnen und Helfer versucht, einsturzgefährdete Häuser vorsichtig abzutragen. Ein Mann versuchte die Maschinen daran zu hindern, aus Angst, der Leichnam seines Vaters könnte unter den Trümmern begraben werden.
War die Hilfsbereitschaft groß?
Die Hilfsbereitschaft ist nach wie vor unbeschreiblich groß. Nach dem ersten Schock waren sofort unzählige Menschen um Mittel und Wege bemüht, Verletzte zu versorgen, die Trümmer zu beseitigen und die Toten schnell zu bergen. Internationale Hilfsorganisationen haben binnen kürzester Zeit Zelte für alle Betroffenen errichtet und helfen noch immer, wo sie können. Man fühlt sich nicht allein gelassen und das tut gut nach dieser heftigen Erfahrung.
Wie ist die Lage aktuell?
Während es manche Städte wie Hatay eigentlich gar nicht mehr gibt, kehrt in einigen weniger betroffenen Regionen langsam wieder der Alltag ein. Die Menschen bauen ihre Häuser auf und arbeiten wieder. Unser Haus und das meiner Schwester sind nur leicht beschädigt. Wir hatten unglaubliches Glück.
Wie geht es nach deiner Rückkehr für dich weiter?
Aktuell wird von rund 9.000 Menschen berichtet, die Arme oder Beine bei dem Erdbeben verloren haben. Deshalb stehe ich bereits im engen Austausch mit meinem Kollegen Uli Maier, der als Orthopädietechnikermeister digitale Trainings im Katastrophengebiet vorbereitet. Ab Mitte April werden wir Orthopädietechnikerinnen und -techniker vor Ort im Umgang mit digitalen Versorgungslösungen von Ottobock schulen wie Scanner, die virtuelle Produktkonfiguration und Datenübertragung an unsere iFab Production, wo wir die individuellen Produkte fertigen. Dabei unterstütze ich mit meinem fachlichen Know-how.
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