DESIGN OF THE NEW C-LEG: “EXPRESSING PERSONALITY IS A DEEPLY ROOTED NEED”
Andreas Hogh, Industrial Designer Systems Engineering bei Ottobock in Wien und seine Skizze (Bild: Andreas Hogh / Ottobock)
Freitag, 29. April 2022

„Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen ist ein tief verankertes Bedürfnis.“

Prothesendesigner Andreas Hogh im Interview über sein Design des neuen C-Leg

Vor 25 Jahren brachte Ottobock die erste computergesteuerte Beinprothese auf den Markt, die sich durchsetzen konnte: das C-Leg. Bis heute setzt es Maßstäbe. Sein Design kam lange von Agenturen. Heute entwickeln zunehmend hauseigene Designer wie Andreas Hogh den charakteristischen Look von Ottobock-Prothesen. Der Industriedesigner aus Wien.ist an der Gestaltung von Prothesen wie dem neuen C-Leg beteiligt, das am 10. Mai 2022 auf den Markt kommt. Im Interview erzählt er, worauf es ankommt, wie sich das Aussehen im Lauf der Zeit verändert hat und was Prothesen-Design in Filmen und Videospielen dazu beigeträgt.

Wie hat sich Prothesendesign im Laufe der Zeit verändert?

Wenn man sich die Geschichte der Prothetik anschaut, begann alles mit pragmatischen Lösungen. Mit dem C-Leg von 1997 wurde der Grundstein für modernes Prothesendesign bei Ottobock gelegt. Darauf baut alles auf. Heute versucht man sich mehr denn je der Anatomie anzunähern, wobei 3D-Druck eine Rolle spielt. Formen, die nicht zu realisieren waren, können einfach gefertigt werden.

Welche Formen sind das?

Etwa strukturelle Formen auf bionischer Grundlage, die computersimuliert auf Festigkeit durchberechnet sind. Das kann man sich wie die Balken eines Fachwerkhauses oder Knochenstrukturen vorstellen. Im Prototypenbau können wir die Schutzblenden der Gelenke sehr schnell in einer annähernden Serienqualität testen, da wir schneller Änderungen einfließen lassen können.

Kann man im Prothesen-Design Parallelen zu anderen Produkten ziehen?

Die Entwicklungszyklen von Modellreihe zu Modellreihe sind mit Autodesign vergleichbar. Designströmungen beeinflussen Sehgewohnheiten. Das C-Leg Design von 1997 hat sich im Vergleich zu heute sehr verändert, so wie sich auch der Golf von früher verändert hat. Bei Prothesen gibt es heute mehr überspannte Flächen und dynamische Oberflächenreflexionen. Ohne das Vorbild Mensch außer Acht zu lassen, darf man den technischen Charakter eines ersetzten Körperteils sehen.

Worauf wurde beim Design des ersten C-Leg vor 25 Jahren und des neusten C-Leg von 2022 Wert gelegt?

Beim C-Leg haben wir die längste Historie. Daher wurde darauf geachtet, dass ein evolutionärer Schritt sichtbar ist. Im Carbon-Rahmen spiegelt sich Dynamik wider, was für Aktivität steht. Das sieht man in der Ausformung der Kniescheibe und an einer durch eine Lichtkante hervorgehobenen Wadenmuskulatur. Auch die Seitenflächen sind überspannter. Mit dieser bewusst gesetzten Lichtkante verbinden wir die Knieachse mit der Achse der Hydraulik. Die Farbwelt wurde stärker differenziert.

Wie sind Sie beim C-Leg Design vorgegangen?

Schritt für Schritt entwickelt sich das Produkt: Manchmal macht man Modelle aus Hartschaum als Entscheidungshilfe. Skizzieren und das Modellieren im CAD helfen bei der Produktentwicklung. Ich halte mich an die Anatomie des menschlichen Körpers wie Muskulatur, Sehnen usw. Dennoch versuche ich, ihn nicht eins zu eins zu kopieren. Vielmehr entwickle ich eine kontrollierte, definierte, organische Form. Es handelt sich immer noch um ein technisches Produkt, dem man das auch ansehen darf.

Die Schutzblenden lassen sich beim neuen C-Leg bemalen. Warum?

Wir haben damit eine Möglichkeit der Individualisierung geschaffen. Die Standard-Schutzblenden unterscheiden sich in verschiedenen Farben sowie in grafischen Mustern. Die Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen ist ein tief verankertes Bedürfnis.

Geht der Trend zum bewussten Zeigen der Prothese?

Viele Menschen gehen progressiver mit ihrer Prothese um als vor einigen Jahren. Social Media und Filme treiben diese Wahrnehmung zusätzlich. Vielleicht könnte man sogar so weit gehen, das einen Trend zur Aufklärung oder Entstigmatisierung zu nennen. Nichts macht uns mehr Freude, als zu sehen, dass ein Mensch unser Produkt gerne trägt und stolz darauf ist, es zu zeigen.

Welche Beispiele fallen Ihnen hierzu ein?

Nike zeigte Models mit Prothesen und designte den „Nike Go FlyEase“ mit einem Einschlupfmechanismus, mit dem Amputierte keine Hände zum Schuhebinden brauchen. Bei Handprothesen, die seltener von einem Kleidungsstück überdeckt werden, gibt es ebenfalls einen Trend zum Hightech-Look. Die Film- und Computerspieleindustrie hat Sehgewohnheiten geändert und mehr Akzeptanz geschaffen.

Welche Rolle spielen diese Computerspiele und Filme?

Immer wieder sehen wir in der Cosplayszene Menschen, die sich bionische Gliedmaße von Spielecharaktern nachbauen. Eine Firma hat auch eine Handprothese aus dem Videospiel „Deus Ex“ funktional nachgebaut. Das ist wieder ein gutes Beispiel dafür, wie der 3D-Druck die Branche revolutioniert hat. Das ist für einen Hingucker gut, aber unser Ansatz bei Ottobock ist ein anderer. Wir wollen die Menschen mit unseren Produkten bestärken („empowern“), ihren Alltag zurückzuerobern.

AnwenderInnen wünschen sich immer wieder mehr verschiedene Farben und Muster. Warum gibt es die nicht?

Um das zu verstehen, muss ich ein wenig ausholen. Die Rahmen und die Oberflächenveredelung durch eine Lackierung entstehen in Handarbeit. Das ist ein aufwendiger Prozess, den wir als Medizinproduktehersteller über eine lange Zeit aufrechterhalten müssen. Ich bin auch gelernter Autolackierer und weiß, was das bedeutet. Man bekommt einen Porsche in der Farbe, die man sich wünscht. Das kostet extra, und das nicht wenig. Dieses Geschäftsmodell können wir nicht so ohne weiteres übertragen. Allerdings hören wir dieses Thema nicht zum ersten Mal und haben Ideen für weitere Individualisierung. Wie bei Autos könnte man etwa statt mit Lackierung mit einer anderen Technologie arbeiten. Allerdings sollten sie in das Portfolio und passen. Wir müssen dabei die Belastbarkeit und optische Qualität unserer Produkte beachten. Das schönste Gelenk ist wenig wert, wenn es beim Spaziergang total verkratzt.

Wie beschreiben Sie diese Grenze zwischen Designanspruch und Machbarkeit?

Design ist ein Kaufkriterium und ein Aushängeschild für Qualität. Es beschränkt sich nicht auf die äußere Form. Vieles zielt auf Fertigbarkeit, Benutzerfreundlichkeit und den Umgang mit Ressourcen ab. Es bringt wenig, ein Design durchzuboxen, das Kosten in die Höhe treibt. TrägerInnen wollen keinen „Klotz am Bein“, sondern ein schönes, gut funktionierendes Produkt; eine Bereicherung der Lebensqualität.

Welche Design-Kriterien sind in der Prothetik die wichtigsten?

Zerst die Benutzerfreundlichkeit. Ein Produkt, das schön aussieht, aber nicht funktioniert, wird keinen Bestand haben - der vielzitierte Design-Leitspruch „form follows function“! Dennoch: Eine Prothese ist ein emotionales Produkt und wird am Körper getragen. Design bildet hier die Brücke zum Menschen. Ein überladenes Produkt verwirrt unnötig und wird oft als Fremdkörper angesehen. Das „MAYA-Prinzip“ (Most Advanced, Yet Acceptable) meint, Menschen an Ort und Zeit abzuholen.

Gibt es noch klassisches männliches oder weibliches Design in der Prothetik?

Die Begriffe männlich oder weiblich verschwimmen. Formalästhetisch gibt es keinen Unterschied, da sich Körperteile wie die Waden in ihrer Grundstruktur ähneln. Wir haben nur zwei Farbwelten erarbeitet: grau und technisch, sowie einen Champagner-Farbton mit einem Braunton kombiniert, der körpernaher wahrgenommen wird.

Eine Prothese muss für alle das perfekte Design haben – wie spiegelt sich das wider?

Recherchen und Studien helfen uns, eine genaue Vorstellung über die Zielgruppe zu bekommen. So wird der Sneaker tragende Teenager ein anderes Anforderungsprofil haben als die Rentnerin. Ältere greifen etwa eher zu einer Kosmetik, die sie über die Prothese ziehen, als Jüngere. Was wir als gestalterisches Mittel einsetzen, ist die Formsprache, abgeleitet vom menschlichen Körper, und welche Anforderungen das Produkt erfüllen muss. Wir spannen den Bogen von zurückhaltender, ruhiger oder runder zu expressiver, aktiver oder überspannter Formsprache.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Bei dem Kenevo, einer Prothese für weniger Aktive, haben wir zwei Kreise miteinander verbunden. Diese wirken ruhig und geschlossen. Beim dynamischeren C-Leg sind zwei Kreissegmente verbunden, welche eine Tropfenform beschreiben und eine Richtung vorgeben. Beim Genium für Hochaktive wurde daraus die Ellipse, die noch dynamischer wirkt. Sie ist um 45 Grad geneigt, wodurch eine aufsteigende Diagonale entsteht. Die Summe solcher Details ergibt einen eher aktiven und dynamischen oder eher stabilen und sicheren Eindruck.

Welche Prothese ist aus Designer-Perspektive die beste und warum?

Das ist, wie wenn Sie einen Vater fragen, welches seiner Kinder ihm das Liebste ist! Jede Prothese dient ihrem Zweck. Es gibt zurückhaltende Modelle wie das Kenevo und expressive Modelle wie das Genium X3. Mich faszinieren die expressiven Modelle. Was mich aber noch viel mehr fasziniert ist, was eine Prothese für einen Menschen bedeutet!

Vielen Dank!

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Draft of the new C-Leg design (Credit: Andreas Hogh / Ottobock)

Draft of the new C-Leg design (Credit: Andreas Hogh / Ottobock)
Draft of the new C-Leg design (Credit: Andreas Hogh / Ottobock)
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Development of the C-Leg design (from left to right, Credit: Ottobock)

Development of the C-Leg design (from left to right, Credit: Ottobock)
Development of the C-Leg design (from left to right, Credit: Ottobock)
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Increase in dynamics with the Kenevo (1), C-Leg (2) and Genium (3, from left to right)

Increase in dynamics with the Kenevo (1), C-Leg (2) and Genium (3, from left to right)
Increase in dynamics with the Kenevo (1), C-Leg (2) and Genium (3, from left to right)
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The design of the new C-Leg

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