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„Es ist ein überwältigendes Gefühl, den Schmerz von Menschen und ihren Familien zu lindern“

Interview mit Fredrik Lundqvist, Erfinder des ExopulseMolliiSuit 

Fredrik Lundqvist

Donnerstag, 28. Dezember 2023

Wenn Erfindergeist auf den tiefen Wunsch trifft, Menschen zu helfen: Im Fall des schwedischen Chiropraktikers Fredrik Lundqvist ebnete das den Weg zu einer medizinischen Weltneuheit. Lundqvist entwickelte den ersten Anzug, der durch Elektrostimulation Spastiken und damit verbundene Schmerzen lindert. So verbessert er die Bewegungsfähigkeit von Kindern und Erwachsenen mit neurologischen Funktionsstörungen – darauf weisen auch die Ergebnisse aktueller Untersuchungen hin.[1,2]  

Ein Hoffnungsschimmer für unzählige Betroffene von Störungen des zentralen Nervensystems auf der ganzen Welt. Dazu zählen etwa Menschen mit Schlaganfällen, von denen rund 101 Millionen mit den Auswirkungen leben müssen[3], mehr als 2,9 Millionen Multiple Sklerose-Erkrankte rund um den Globus[4} oder auch Menschen mit Infantiler Zerebralparese (ICP), die zwei bis drei von 1.000 Säuglingen betrifft. Das globale HealthTech-Unternehmen Ottobock mit Hauptsitz in Duderstadt vertreibt den Neuromodulationsanzug Exopulse Mollii Suit international.  

Im Interview spricht Erfinder Fredrik Lundqvist über seine Vision und die Geschichte hinter diesem Hilfsmittel, das Leben verändern kann. 

Welche Vorteile bietet der Exopulse Mollii Suit? 

Ich habe als persönlicher Betreuer und Chiropraktiker hauptsächlich mit Menschen gearbeitet, die an Erkrankungen des zentralen Nervensystems leiden: Erwachsene und Kinder, die ihre Beine nicht mehr beugen konnten, unter starker Spastizität litten und sich nicht richtig entspannen konnten. Deshalb war ich immer auf der Suche nach Lösungen für diese Menschen. Das hat mich letztendlich zum Exopulse Mollii Suit geführt: Es gab und gibt nichts Vergleichbares auf der Welt, das Menschen so helfen kann wie dieser Anzug. Sanft, risikolos und mit einer so großen Wirkung auf die Körperfunktionen, den Alltag und die Schmerzlinderung bei Spastiken. Im Laufe der Jahre habe ich die Medikamente und ihre Nebenwirkungen gesehen, die meine Patientinnen und Patienten jeden Tag einnehmen müssen, nur um ein bisschen entspannter zu sein. Wir verwenden stattdessen die Elektrostimulation, was eigentlich keine neue Erfindung ist, sondern eine Verschmelzung bestehender Technologien. Denn damit erzielen wir bessere Ergebnisse. 

Was hat Sie dazu inspiriert, den ExopulseMolliiSuit zu erfinden? Gab es einen konkreten Impuls?  

Ich war der persönliche Betreuer und Assistent eines MS-Patienten, mit dem ich mich über die Jahre angefreundet habe: Jureks Leiden zu lindern, seine Spastizität und die damit verbundenen Schmerzen zu mindern – das war meine Hauptmotivation für die Erfindung des Anzugs. Während meiner Ausbildung zum Chiropraktiker lernte ich den so genannten Mariefòix-Reflex kennen, der auf eine zentrale Nervenerkrankung hinweist und das Beugen eines spastischen Beins erleichtert. Meine erste Idee war, vibrierende Schuhe zu entwerfen. 2009 dachte ich: Was passiert, wenn wir diesen Reflex mit einem schwachen elektrischen Impuls auslösen, um die Muskeln zu stimulieren? Das würde die Kniebeuger aktivieren und die Kniestrecker deaktivieren. Ich habe es gemeinsam mit Jurek ausprobiert und Klebeelektroden in einem bestimmten Muster geklebt. Und zu meinem großen Erstaunen ließ sich nach 15 Minuten ein Bein mit den Elektroden viel leichter beugen – schon dieser erste Test zeigte positive Resultate. Später wurde mir klar, dass wir dieses Produkt nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für Verwandte und Familien herstellen. Es macht das Leben für alle ein bisschen leichter.  

Wie lange hat die Entwicklungsphase gedauert?  

Am Anfang habe ich mit Klebeelektroden gearbeitet. Ich habe aber schnell gemerkt, dass das zu lange dauert und viel zu kompliziert ist, um Physiotherapeuten darin zu schulen. Sie haben sowieso zu wenig Zeit. Mit einem Anzug werden die Elektroden in der richtigen Weise am Körper platziert. Sie können mit einer bestimmten Frequenz genau die Muskeln ansprechen, die wir vorher ausgewählt haben, und die Spastik reduzieren. Es ist viel benutzerfreundlicher. 

2009 war ich dann mit dem ersten Prototyp in der schwedischen Version der Erfinder-Sendung „Die Höhle des Löwen“. Das war der Anfang, aber es dauerte mehrere Jahre, um den Anzug zu einem funktionalen Produkt weiterzuentwickeln. 

Wie beschreiben Sie das Gefühl, das Sie im ersten Moment hatten, als Ihnen klar wurde: es funktioniert? 

Der Moment war überwältigend. Ich habe eine solche Freude gespürt, als ich verstanden habe, dass ich so schwer betroffenen Menschen tatsächlich helfen und ihr Leiden lindern kann. Dieses Gefühl ist unvergleichlich – selbst heute noch.  

Erinnern Sie sich an einen besonderen Moment während der Entwicklung?  

Da gibt es viele, zum Beispiel das erste Mal, als ich einem Patienten mit Hilfe von Klebeelektroden behandelt habe. Es dauerte eineinhalb Stunden, die Klebeelektroden anzubringen und alles einzuschalten. Mein Patient ist dann nach zehn Minuten fast eingeschlafen, so entspannt war er. An diesen Moment denke ich oft zurück. Während dieser ersten Beobachtung habe ich es verstanden: Wenn es einer Person hilft, kann es Millionen weiteren helfen.  

Warum haben Sie sich für die Zusammenarbeit mit Ottobock entschieden? 

Mir war von Anfang an klar, dass ich es allein nicht schaffen würde. Im Jahr 2021 wurde unser Start-up Exoneural Network von Ottobock übernommen. Das war zwei Jahre und drei Monate, nachdem meine Partner und ich begonnen hatten, Medizintechnik zu entwickeln. Für mich ging damit ein Traum in Erfüllung. In meinem Herzen bin ich Chiropraktiker und mir geht es vor allem um die Menschen. Meine Motivation ist es, helfen zu können. Und das geht am besten mit dem Know-how und den Vertriebskanälen von Ottobock.  

Was wünschen Sie sich für die Zukunft? 

Im Bereich der digitalen Gesundheit arbeiten wir derzeit daran, den Anzug noch intelligenter und benutzerfreundlicher zu machen, zum Beispiel mit Bluetooth. Und mit Hilfe der Telemedizin können wir neues medizinisches Fachpersonal ganz einfach in der Anwendung des Anzugs schulen, unabhängig davon, wo sie sich gerade befinden. Ich hoffe, dass wir den Anzug auf der ganzen Welt verbreiten können, um den Betroffenen und ihren Angehörigen das Leben zu erleichtern. 

Über Fredrik Lundqvist: 
Fredrik Lundqvist ist Chiropraktiker mit Spezialisierung in Neurorehabilitation und Erfinder des weltweit ersten Neuromodulationsanzugs. Er ist in der Schweiz aufgewachsen und spricht deshalb sehr gut deutsch. Der 50-jährige Schwede arbeitete sieben Jahre lang als persönlicher Assistent für einen Mann mit progressiver Multiple Sklerose. Diese Arbeit inspirierte ihn, den ExopulseMolliiSuit zu entwickeln. Als Experte für Rehabilitation schulte Fredrik Lundqvist viele Jahre lang Physiotherapeuten und andere Fachkräfte im Gesundheitswesen. Sein Ziel: Weltweit Menschen helfen, die an Spastiken aufgrund neurologischer Indikationen leiden.  

[1] Effects of a full-body electrostimulation garment application in a cohort of subjects with cerebral palsy, multiple sclerosis, and stroke on upper motor neuron syndrome symptoms (degruyter.com)
[2]
Effects of the TENS device, Exopulse Mollii Suit, on pain related to fibromyalgia: An open-label study - ScienceDirect
[3]
WSO_Annual_Report_2022_-_online.pdf (world-stroke.org)
[4]
Number of people with MS | Atlas of MS