Transformation der prothetischen Versorgung: Einblicke vom Genium X4 Symposium
Am Dienstag, dem 24.September 2024, trafen sich führende ExpertInnen aus den Bereichen Prothetik, Biomechanik und Physiotherapie zum virtuellen Symposium „Real-World Evidence and Innovations in Prosthetic Integration: Insights on the Genium X4 on biomechanics and mobility, Socket Technology Advancements, and Tailored Physiotherapy Training for Microprocessor-Controlled Knees in the Socket vs. Osseo-Integration“.
Dienstag, 8. Oktober 2024
Moderiert von Dipl.-Ing. Merkur Alimusaj (Leiter der Technischen Orthopädie, Abteilung für Orthopädie, Unfallchirurgie und Paraplegie der Universitätsklinikum Heidelberg, Deutschland) befasste sich das Symposium mit der Rolle von Praxisbeweisen bei der Förderung der Prothesenintegration. Zu den Expertenvorträgen gehörten Beiträge von Kat Sizer (Physiotherapeutin Dorset Orthopaedic, Ottobock.Care – Großbritannien), Tim Baumeister (Orthopädietechniker, Leiter der Prothetik der unteren Extremitäten DACH, Pohlig GmbH – Traunstein, Deutschland), Thomas Maximilian Köhler MSc (Forschungsingenieur für Orthopädietechnik, Clinical Research & Services, Ottobock SE & Co. KGaA – Göttingen, Deutschland) und Dr. Ernesto G. Trejo (Klinischer Projektmanager, Clinical Research & Services, Ottobock Healthcare Products GmbH – Wien, Österreich).
Das Online-Symposium beleuchtete die Auswirkungen der neuen mikroprozessorgesteuerten Knieprothese (MPK) Genium X4 auf die Biomechanik, die Mobilität und die Behandlungsergebnisse für PatientInnen, die neuesten Fortschritte in der Schafttechnologie, das personalierte physiotherapeutische Training und die Herausforderungen bei der Integration von mikroprozessorgesteuerten Knien in Schaft- und Osseointegrationssysteme. Die Veranstaltung bot führenden Fachleuten dabei auch eine Plattform für den Austausch von Erkenntnissen, die Förderung von Innovationen und die Verbesserung der Zukunft der prothetischen Versorgung.
Die größten Mehrwerte für PatientInnen zum Genium X4
Ernesto Trejo gab einen Überblick über die Studien, die während der Entwicklungsphase vom Genium X4 Kniegelenk durchgeführt wurden. Er betonte, dass jene Studien nicht nur für die Überprüfung der Einhaltung von Sicherheits- und Leistungsstandards von entscheidender Bedeutung sind, sondern auch zeigen, dass die TeilnehmerInnen messbare Vorteile aus den neuen Technologie ziehen. Weiter präsentierte er die Ergebnisse der letzten klinischen Studie in Deutschland.
Dabei handelt es sich um eine Pilotstudie mit acht TeilnehmerInnen, die die Genium X4-Zielgruppe repräsentierten. Die Ergebnisse, die zur Bewertung der Erfahrungen der TeilnehmerInnen mit dem neuen MPK herangezogen wurden, konzentrierten sich auf: die Sicherheit (Stolpern und Stürze), die Nutzung der Prothese, die Mobilität und spezifische Situationen, in denen die neuen Funktionen Anwendung fanden. Weitere Punkte beschäftigten sich mit den Auswirkungen der neuen Funktionen auf die Aktivitäten des täglichen Lebens, die Präferenzen und die Zufriedenheit der TeilnehmerInnen.
„Es ist schwierig, bei einigen dieser Ergebnisse Verbesserungen zu erkennen, da das Genium und Genium X3 bereits die sichersten MPK auf dem Markt sind“, sagte Trejo. Dennoch verzeichnete die Studie einen Rückgang von Stolper- und Sturzunfällen sowie ein positives Feedback (besser als Genium/X3) zu Faktoren wie Anstrengung, benötigte Konzentration, Komfort und Nützlichkeit der neuen Funktionen.
Abschließend ließ sich festhalten, dass alle TeilnehmerInnen das Genium X4 nach der 16-wöchigen Testphase mit dem endgültigen Prototypen dem X3 vorzogen. „Die Teilnehmenden bezeichneten das Genium X4 als leichter, intuitiver und natürlicher.“ Angesichts der subjektiven Feedbacks waren biomechanische Messungen während der Studie entscheidend, um objektive Ergebnisse zu liefern, die mit den Erfahrungen der Teilnehmenden in Verbindung gebracht werden konnten.
Biomechanische Studienergebnisse bestätigen Verbesserungen bei Alltagsaktivitäten mit dem Genium X4
Auf der Grundlage der biomechanischen Studie und der von PatientInnen berichteten Ergebnisse stellte Thomas Maximilian Köhler die wichtigsten Merkmale des Prothesenkniegelenks vor und erläuterte, wie die neuen Funktionen den Patientennutzen verbessern. „Das Genium X4 bietet Einstellmöglichkeiten zur Feinabstimmung der Stand- und Schwungphasensteuerung, um den Bedürfnissen des Nutzers individueller gerecht zu werden. Darüber hinaus wurden drei völlig neue Funktionen implementiert“, so Köhler.
Das Anlaufen mit der Prothesenseite erfolgt in der Regel mit gestrecktem Kniegelenk, da die Voraussetzungen für den Wechsel in die Schwungphase nicht erfüllt sind (bei Verwendung eines MPK mit einem Standard-Stand-Prinzip). Die neue Funktion „Start-to-Walk“ ermöglicht die Knieflexion mit einer teil-entlasteten Prothese. AnwenderInnen berichteten über den Mehrwert in überfüllten Räumen oder in „Stop-and-Go“-Situationen.
Die neue Funktion „Optimiertes Rückwärtsgehen“ ermöglicht eine Begrenzung der Kniebeugung zwischen 15° und 30° beim Rückwärtsgehen. Dadurch wird eine übermäßige Kniebeugung vermieden und die Beschleunigungsphase verbessert. Die AnwenderInnen gaben an, dass sich das Gleichgewicht verbesserte und beim Ziehen schwerer Gegenstände hilfreich war.
Übliche MPK passen den Kniebeugewinkel beim ersten Kontakt beim Gehen auf Schrägen nicht an. Die neue Funktion „Optimierter Steigvorgang“ ermöglicht jedoch eine Anpassung der Kniebeugung an verschiedene Neigungen. AnwenderInnen berichteten, dass sich das Gehen bergauf einfacher und natürlicher anfühlte.
An der Studie nahmen 8 Personen teil (6 unilateral, 2 bilateral). Für die biomechanische Analyse wurde das Genium X4 verglichen mit dem Genium X3. Danach wurden die Angaben der TeilnehmerInnen mit den biomechanischen Ergebnissen abgeglichen. Dabei zeigte sich bei der Geh-Initiierung ein natürlicheres Bewegungsmuster der Prothesenseite sowie reduzierte Kompensationsmaßnahmen des Beckens und des Oberkörpers. Beim Rückwärtsgehen war zudem die anterior-posteriore Bodenreaktionsstärke beim Abstoßen der Prothesenseite höher. Das deutet auf eine verbesserte Beschleunigungsphase. Das Gehen auf Rampen wurde mit einem natürlicheren Bewegungsmuster der Beinprothese durchgeführt. Darüber hinaus zeigten die kontralaterale Knöchelkraft und die Range of Motion (Bewegungsumfang) der Plantarflexion eine Verringerung, was eine reduzierte Ausgleichsbewegung annehmen lässt. „Mit den neuen Funktionen des Genium X4 sind klinisch relevante Verbesserungen bei Alltagsaktivitäten möglich. MPK werden seit mehr als drei Jahrzehnten entwickelt. Dennoch sind weitere Verbesserungen möglich, insbesondere durch die Verfeinerung des Algorithmus in der Steuerung“, so Köhler.
Innovative Prothesenschaftdesigns
Tim Baumeister berichtete über die Designvarianten von Prothesenschäften bei MPK: „Das Hauptaugenmerk bei der prothetischen Versorgung von Amputierten liegt auf der Verbindung zwischen den industriell gefertigten Pass-, Struktur- und Funktionsteilen und dem Amputationsstumpf. Dem Schaft kommt bei der prothetischen Versorgung eine besondere Bedeutung zu. Er ist die wichtigste Komponente.“
Er betonte die vielfältigen Anforderungen an den Schaft. Dieser muss sowohl alle in axialer und horizontaler Richtung wirkenden Kräfte übertragen, das Stumpfvolumen aufnehmen, die Steuerung der Prothese ermöglichen als auch die statische Struktur in Abhängigkeit von der individuellen Fehlstellung realisieren.
In seinem Vortrag stellte Baumeister auch die Bedeutung adaptiver Eigenschaften bei Prothesenschäften vor. Er zeigte Versorgungsbeispiele aus der Knieexartikulation, der Oberschenkel- und der Hüftprothetik. Die Kombination von flexo-elastischen HTV- und RTV-Silikonen mit steifen und stabilen Karbonmaterialien ermögliche es, große, flexible und elastische Bereiche an Prothesenschaftsystemen zu realisieren. Dies wirke sich positiv auf Aktivitäten des täglichen Lebens aus, wie Sitzen, Essen und Gehen. Damit steigt zum einen die Akzeptanz der prothetischen Versorgung und zum anderen wird eine gezielte Rehabilitation der betroffenen AnwenderInnen ermöglicht.
Um die Qualität der Schaftversorgung zu optimieren, erfasst ottobock.care Pohlig im Rahmen des „PBSS-Projekts“ (Pohlig Bionic Socket System) biometrische Daten der Stümpfe und pflegt diese in Datenbanken ein. In der Entwicklung statistischer Modelle zur Generierung von Informationen über die Schaftmodellierung sieht Baumeister eine große Chance in der Digitalisierung. Hierdurch könnte man in Zukunft den Anforderungen an eine individualisierte, qualitativ hochwertige Prothesenversorgung gerecht werden.
TherapeutInnen stärken: Tools und Strategien für das Training mit mikroprozessorgesteuerten Kniegelenken
In ihrem Vortrag stellte Kat Sizer verschiedene Hilfsmittel und Ressourcen vor, die TherapeutInnen zur Verfügung stehen, um PatientInnen beim Kennenlernen der Funktionen ihrer MPK zu unterstützen. Die im Vereinigten Königreich tätige Sizer hob relevante Richtlinien und Grundsätze hervor, die TherapeutInnen dabei helfen, die modernen Hilfsmittel effektiv mit ihren PatientInnen auszuprobieren. Mit zehn Jahren Erfahrung im privaten Sektor, arbeitete Sizer mit zahlreichen PatientInnen eng zusammen, die auf Mikroprozessortechnologie umgestiegen sind. Dabei konzentrierte sie sich insbesondere auf die Modelle Genium und Genium X3.
Sizer erörterte Strategien zur Unterstützung des Lernprozesses. Sie betonte, wie wichtig es ist, verschiedene Lehrmethoden anzuwenden, um PatientInnen die Funktionen ihrer Knie verständlich zu machen. Darüber hinaus hob sie die Notwendigkeit hervor, dass jede Funktion in verschiedenen Umgebungen effektiv und sicher genutzt wird. Sizer ging auch auf die Zeit ein, die PatientInnen benötigen, um sich an ein neues Knie zu gewöhnen, und wies darauf hin, dass verschiedene Faktoren den Zeitplan für diese Anpassung erschweren können.
Sizer teilte zudem Kommentare ihrer PatientInnen, die ein osseo-integriertes Implantat erhielten und erörterte Überlegungen, die eine Osseointegration bei der Verwendung von Mikroprozessoren mit sich bringen kann. Sizers Vortrag endete mit Kommentaren ihrer PatientInnen über ihre positiven Erfahrungen mit dem Genium X4.
Zusammenfassung
Das Symposium bot einen umfassenden Überblick über die Fortschritte und klinischen Erkenntnisse im Zusammenhang mit dem mikroprozessorgesteuerten Kniegelenk Genium X4. Zum Abschluss hob Merkur Alimusaj die entscheidende Rolle klinischer Studien bei der Festlegung von Sicherheits- und Leistungsstandards hervor, während gleichzeitig der Nutzen für die TeilnehmerInnen gemessen wurde. Vorgestellt wurden drei neue Funktionen: „Start-to-Walk“, das Bewegungen in überfüllten Umgebungen erleichtert, „Optimized Backwards Walking” zur Verbesserung des Gleichgewichts und „Optimized Slope Ascent” für ein optimiertes Gehen auf Schrägen.
Weiter wurde die Bedeutung des Prothesenschafts und seine Rolle als Schnittstelle zwischen Gliedmaßen und Prothese hervorgehoben. Die Verwendung flexibler Materialien erhöht den Komfort, während anpassungsfähige Designs die Zufriedenheit der AnwenderInnen steigern. Initiativen wie das PBSS-Projekt nutzen biometrische Daten für personalisierte Lösungen und die Digitalisierung verspricht maßgeschneiderte Anpassungen, die die Lebensqualität von Amputierten verbessern. Das Symposium hob auch die Bedeutung der Patientenaufklärung hervor und stellte Möglichkeiten und Hilfsmittel für TherapeutInnen vor, um PatientInnen bei der Verwendung ihrer MPK effektiv anzuleiten. Es wurde betont, wie wichtig unterschiedliche Lehrmethoden sind, um PatientInnen zu helfen, Vertrauen im Umgang mit ihrer Technologie in verschiedenen Umgebungen zu schaffen.
Das Feedback der AnwenderInnen, insbesondere von Personen mit osseo-integrierten Implantaten, verwies auf positive Erfahrungen und Anpassungsfähigkeit. Insgesamt hob das Symposium die bedeutenden Fortschritte in der mikroprozessorgesteuerten Knie-Technologie mit dem Genium X4 hervor. Vorgestellt wurden dabei nicht nur Verbesserungen in Bezug auf Sicherheit und Leistung, sondern auch die tiefgreifenden Auswirkungen auf den Alltag der AnwenderInnen.
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